Und die Kapelle spielt bis zum Schluss… – Eine Momentaufnahme

Und die Kapelle spielt bis zum Schluss… Eine Momentaufnahme

Auf der Bühne stehe ich seit insgesamt zehn Jahren, habe immer von der Kunst gelebt (mal mehr, mal weniger gut), mit seit zwei Jahren steigenden Zuschauerzahlen, sodass ich 2019 sogar einige ausverkaufte Konzerte spielen durfte. Ausverkauft meint hier dann nicht mehrere hundert Menschen, denn ich bin überwiegend auf Kleinkunstbühnen unterwegs. Doch auch wenn ein Haus bis unters Dach mit rund achtzig oder gut zweihundert Menschen gefüllt ist, ist das schon ein ziemlich ergreifendes Gefühl und macht mir deutlich,
dass es sich lohnt für seine Träume zu kämpfen, stetig am Ball zu bleiben und an sich selbst und das, was man tut zu glauben.

Die Rückmeldungen, die ich Seitens der Menschen im Saal und der Veranstalter nach meinen Konzerten bekomme, berühren mich zutiefst, weil sie mir vor Augen führen, dass meine Arbeit und ich ein wichtiger Teil dieser Gesellschaft sind. Für mich ist sie, das Texte-schreiben und Lieder-Komponieren, Verwerfen, Verzweifeln, Lachen und Weinen innerhalb dieses Prozesses und letztlich allen voran das Auf-der-Bühne-Stehen vor Menschen, die bereit dazu sind, Geld für eine Karte zu einem meiner Konzerte auszugeben, nicht bloß irgendein Job, irgendeine austauschbare Tätigkeit zum Gelderwerb, um mir irgendein beliebiges Leben zu finanzieren.
Für mich ist all das, einen berührenden Kabarettabend zu gestalten und vor allem anschließend mit den Menschen in den Austausch zu gehen, ein offenes Ohr für sie und ihre Gedanken zu haben, ihnen zuzuhören, für sie da zu sein und alle weiteren Facetten dieses wundervollen Berufs, Berufung, Leidenschaft und Lebensinhalt zugleich. Es ist, was ich aus vollstem Herzen gut kann und womit ich dadurch eine Bereicherung für diese Welt, dieses Land und diese Gesellschaft zu sein scheine (Publikumsstimmen).

Die derzeitige Situation, wie wir Künstler aller Couleur, unsere Agenturen und die Menschen (Veranstalter, Tontechniker, Fotografen, Gastronome uvm.), die in den Kleinkunstbühnen und Häusern in denen wir spielen arbeiten, sie gerade wahrnehmen und wie sie uns auf unterschiedlich schwere Art früher oder später finanziell, wie auch existenziell betrifft,
lässt sich die meisten von uns fragen:
1. Wie und vor allem wann geht es weiter?
2. Wovon soll ich bis dahin meine Rechnungen bezahlen?
3. Schaffe ich es bis dahin meine Bühne (privat: meine Wohnung) überhaupt zu halten?
Kurz: Wir alle oben genannten und sämtliche weitere Selbstständige und Freiberufler, die Aufgrund des Berufsverbots gerade schlichtweg nicht arbeiten dürfen, erleben jetzt, bezogen auf diese drei Fragen und auf unterschiedlichen Niveaus, riesige Ängste.

Ich für meinen Teil bin gerne bereit dazu, sobald das aktuelle Chaos überstanden ist, mit all jenen genüsslich zu diskutieren, über die Sinnhaftig- und Möglichkeiten von finanziellen Absicherungen jeglicher Art, die mir (und uns) jetzt Fragen stellen wie „Aber ihr Künstler bekommt doch Hilfe, das hab ich doch gehört in den Tagesthemen“, oder „Wieso haste denn auch keine Rücklagen gebildet“, oder „Der Steuerzahler ist ja wohl nicht dafür zuständig Euch das Leben zu finanzieren, gell?“ (um nur einige wenige zu nennen. Und bis dahin findet der ein oder andere vielleicht ein paar Antworten hier #kulturerhalten.)

Für den Moment sei mir verziehen, wenn ich mich erst einmal darum kümmere, dann noch mit Euch diskutieren zu können.
Denn, abgesehen davon, dass auch bei mir grade schlicht die Angst umgeht, den Mist da draußen existenziell und ja, wer weiß, vielleicht sogar gesundheitlich nicht zu überstehen,
Gegenfrage: Darf ein Beruf keinen Spaß machen, um dem Anspruch der Betitelung richtiger Beruf gerecht zu werden? Wie und vor allem wer entscheidet über den Wert (und Gegenwert)
einer Tätigkeit in einer akuten Notlage, wo es doch vorrangig ums (Über)Leben geht?
Ab welcher Größe gilt eine Rücklage als Rücklage, ist es nicht logisch, dass jede irgendwann einmal aufgebraucht ist, wenn man keine neuen Einnahmen erwirtschaften darf und ist man ein zu wenig weitsichtiger Mensch, wenn man nicht seit Jahren ein Konto führt unter dem Motto
“Notgroschen für eine vielleicht eintretende Pandemie, falls mal ein Berufverbot verhängt werden sollte“?

Bleibt zudem der ganz einfache Fakt: Ich vermisse meine Arbeit!
Ich vermisse die vielen ins Herz geschlossenen Veranstalter der Bühnen auf denen ich spielen darf, die Teams der jeweiligen Häuser, meinen Agenten, meine Kollegen und allen voran – mein Publikum, Euch Menschen da draußen, die ihr all die vielen, wundervollen Abende der vergangenen Jahre mit mir geteilt habt, ein oder zwei Jahre später wieder gekommen seid und neue Menschen mitgebracht habt, Euch, die ihr mit mir gelacht und geweint, geschrien und geschwiegen habt. Ich vermisse Euch. Denn ihr macht aus mir mikroskopisch kleinem Seppel auf der Bühne, der nichts weiter hat als seine Lieder und Geschichten, einen Menschen, der nicht (system)irrelevant ist.

Und weil mir all das und noch viel mehr dieser Tage durch den Kopf geistert, tue ich, was ich noch immer tun kann, auch trotz all der Absagen von Konzerten, auf die ich mich schon so sehr gefreut hatte – ich schreibe darüber. Hier, in meinem Abenteuerblog und am Klavier, zum Beispiel dies neue Lied.

Wir Künstler brauchen Euch und ihr braucht uns.
Weil wir uns, durch unsere uns gegenseitig erzählten Geschichten, ineinander spiegeln und auf diese Weise selbst entdecken. Wir brauchen einander – vor, besonders während und ganz besonders nach dieser verrückten Zeit. Denn was wär schon eine neue Welt und so viel steht fest, die wird es eines Tages geben, ohne Pauken und Trompeten und ne Titelmelodie…