Die Stimme aus dem Off – „Auch meine Muse knutscht grad nicht…“

Die Stimme aus dem Off – „Auch meine Muse knutscht grad nicht…“

Ich sitz hier, würd gern schreiben, doch ich weiß nicht so recht wie…

„Hallo? Abstand halten! An küssen wirst Du ja wohl bitte gar nicht erst denken!!!“, sagt meine Muse, packt reichlich Proviant in ihren kleinen, grünen Rücksack, zieht sich ihre abgelaufenen Lederschuhe an, knallt die Tür hinter sich zu und ward für Wochen nicht mehr gesehen.
Und so wurde schlagartig aus „Die Stimme aus dem Off“ „Die Stumme aus dem Off“. Meiner Muse doch egal, die bauchte erst einmal eine Pause. Vom Leben, von den coronabedingten Umständen und, offenbar am dringendsten, von mir.

Ich folgte ihr in den Wald, suchte sie dort täglich stundenlang, abwechselnd zu Fuß oder mit dem Rad,
immer in der Hoffnung sie zu finden und dazu überreden zu können, endlich wieder nach Haus zu kommen.
Den Gedanken, dass die Wildschweine sie gefressen haben könnten, von denen ein befreundeter Jäger mir erzählte, versuchte ich zu verdrängen. Ich rief laut nach ihr, wartete still auf einem Hochsitz auf sie und legte zu guter Letzt eine Spur aus Schoko-Eis, doch – nichts. Sie war wie vom Erdboden verschluckt.

 

Tage des verzweifelten Versuchs von Ablenkung folgten. 2-Meter-Anstand-Spaziergänge mit meiner besten Freundin und ihrer kleinen Tochter, eine unverhoffte Auspowern-Groundhandling-Session mit dem Zweitschirm meines besten Freundes, mehrere Vierzig-Kilometer-Touren allein mit dem Fahrrad, alles um den Kopf durchzulüften und ja, ein ganz klein wenig stellte sich hin und wieder doch auch ein klein wenig leise aufkeimende Lebensfreude während all dieser Aktivitäten ein. Doch meine Muse blieb verschwunden. Und ich vermisste sie sehr.

So blieb mir nichts weiter übrig, als ohne sie zu versuchen darüber zu schreiben, was mich seit Tagen umtrieb: Was wird jetzt aus mir, aus den vielen Kollegen, Agenturen, Kleinkunstbühnen und all den anderen Freiberuflern, Soloselbstständigen und jenen, die gerade allesamt vor dem beruflichen wie finanziellen Nichts stehen!? Wieso lässt die Politik uns so allein, während sie in den Medien große Hilfen verspricht, der, oh Wunder (Ironie aus), keine ernstzunehmenden Taten folgen… Unendliche Wut und tiefe Traurigkeit bestimmten die kurzen Stunden vieler Tage, zwischen dem schon grummeligen Aufwachen und ebensolchem wieder Einschlafen.

Und schau, wohin es Dich gebracht hat…

Also setzte ich mich wieder in „meinen“, an einem Bach gelegenen Hochsitz in die Stille, schlug das kleine, schwarze Textbuch auf und schrieb. Ich schrieb, als gäbe es kein Morgen, ein Gedanke purzelte über den anderen, all die Emotionen der vergangenen Wochen wurden Bilder und plötzlich hatte ich, ohne es zu wissen ein neues Lied geschrieben, wie im Rausch und ohne zu bemerken, dass sie plötzlich einfach neben mir saß, mich frech angrinste und sagte „Na also, geht doch!“. Ich sah sie fassungslos an und bevor ich etwas sagen konnte ergänzte sie „Hast Du Dich ernsthaft darüber gewundert, dass ich die Flucht ergriffen habe?
Deine Verzweiflung in den vergangenen Wochen war nicht auszuhalten!“. Ich wollte gerade Luft holen,
um loszupoltern, doch sie unterbrach mich direkt „Bababap – sag nichts! Das war kein Vorwurf, nur eine Feststellung. Und schau, wohin es Dich gebracht hat…“

Ihre Worte schmerzten und ihr mildes Lächeln und meine sich leise einschleichende Erkenntnis, trieben mir, wie so oft in den vergangenen Tagen, Tränen in die Augen. Und schau, wohin es Dich gebracht hat… So einfach und doch so tiefgründig. Ich musste nicht lange darüber nachdenken, was die Antwort auf diese indirekte Frage war. Ich spürte es ganz deutlich, so, als sei das alles schon seit Wochen klar gewesen und ich Seppel hatte es bloß nicht wahrnehmen können – all die Wut, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit hatten mich,
ganz auf mich selbst zurückgeworfen, mich mir selbst wieder näher gebracht.

Und die Kapelle spielt bis zum Schluss… 

Und so sitze ich hier heute, deutlich wacher als bisher, im Homeoffice quasi, noch immer auf dem Land auf dem Balkon über dem Garten, an einem für einen Samstag im April erstaunlich heißen Tag und verfasse diesen kleinen Text, voll Vorfreude auf den Beginn der kommenden Woche. Denn das eben beschriebene, neue Lied teile ich natürlich auch mit Euch.
Es trägt den bezeichnenden Titel „Und die Kapelle spielt bis zum Schluss…“ und ist eine,
in typischer Lübke-Manier geschriebene Momentaufnahme der aktuellen Situation aus meiner Sicht, stellvertretend für die gesamte Branche von Kunst und Kultur.

Manches ist also nicht mal diese verrückte Zeit im Stande zu ändern, was ich als sehr beruhigend empfinde. Denn eine über Jahre erworbene, innere Haltung zum Leben, die ein Mensch ja nicht grundlos entwickelt, ändert sich nicht über Nacht (und auch nicht über mehrere Nächte), bloß weil um ihn herum plötzlich alles auf dem Kopf zu stehen scheint. Doch das ist eine andere Geschichte, jetzt eben inklusive Titelmelodie und die erzähle ich Euch Anfang kommender Woche.

Off-Abenteuer des Tages:

Zu mir selbst zu stehen, wenn es gerade gefühlt niemand sonst tut und meiner inneren Stimme zu vertrauen, ist nicht immer leicht. Manchmal ist es ganz im Gegenteil sauschwer, erfordert Geduld mit mir und noch mehr Verständnis für mich selbst. Doch am Ende des Tages führt mich dieser, obgleich auch streckenweise hölle steinige Weg, in die Klarheit meiner Seele.
Und dort dann auch jemanden anzutreffen ist doch, wie mir scheint, weit wichtiger, als sich im Gefallenwollen anderer Menschen zu verlieren. Denn ich kann mich zwar wertvollerweise in meinem Gegenüber spiegeln, wenn ich bereit bin hinzuschauen, doch mich finden, das kann ich nur in mir…