Die Stimme aus dem Off – „Zurück zu den Wurzeln…“

Die Stimme aus dem Off – „Zurück zu den Wurzeln…“

Hey hey, mein Name ist Liese-Lotte Lübke, ich komme aus Hannover, bin Abenteuerkabarettistin und Gleitschirmpilotin und – hölle ungeduldig. Ganz blöde Kombi in der momentanen Situation. Normalerweise berichte ich hier über meine Konzerte auf Kleinkunstbühnen und in den Heiligenfeld Kliniken in ganz Deutschland und der Schweiz und über meine Reisen mit dem Gleitschirm durch die Welt. Derzeit spricht hier jedoch aufgrund der aktuellen Lage bloß – Die Stimme aus dem Off.

Man sagt, nichts sei so beständig wie der Wandel…

Eigentlich hätten die vergangenen Tage und auch die kommenden Wochen aus vielen Reisen und noch mehr Lebensfreude bestanden: Solokonzerte in vielen Städten Deutschlands, ein Klinikkonzert in Bad Kissingen, während eines dort ohnehin beruflich längeren Aufenthaltes, auf das ich mich schon besonders gefreut hatte, ein Vortrag bei einer Rednernacht in Mannheim und in der freien Zeit dazwischen, ganz viel Fliegen mit sehr guten Freunden, in der Schweiz am Glarus, in der Rhön auf der Wasserkuppe und kurz hinter Berlin an der Küste. Eigentlich.

Sattdessen sitze ich nun schon seit Tagen da und zähle die Nubbel auf der Raufasertapete. Genügend Zeit dafür habe ich ja jetzt.
Über Ähnliches entstand schon im Sommer 2018 eins meiner Lieder, das den bezeichnenden Titel „Raufaser & Laminat“ trägt und davon erzählt, wie schnell ein Leben in der Stadt, ohne Abenteuer in der weiten Welt, zur Zerreißprobe werden und einen Menschen, so er denn offen dafür ist, spüren lassen kann, wie sehr er seine Freiheit liebt. Und, oh ja, wie sehr ich die liebe, kann ich kaum in Worte fassen. Erinnerungen an die vergangenen Sommer schmerzen gerade.

Dankbarkeit und Demut…

Jetzt, wo plötzlich alles stillsteht und zur Ruhe, gar zum Erliegen kommt, spüre ich noch deutlicher, wie wichtig mir mein Leben, so wie ich es führe, ist. Da ist meine Arbeit, über die ich mit Menschen durch meine Musik und Geschichten während eines Konzerts in sehr engen, emotionalen Kontakt kommen und auch etwas über sie und ihre Leben erfahren darf. Meine liebsten Freunde, mit denen ich ohnehin sehr nah bin, die jetzt aber noch häufiger anrufen und fragen, wie es mir geht, mir sofort weiterleiten, wenn sie irgendwo etwas zu möglichen Hilfen hören oder lesen und mich auf liebevolle Art und Weise spüren lassen, dass ich nicht alleine bin. Da ist meine Familie, allen voran meine Mutter, die mir gerade mit allem zur Seite steht, was sie hat, mit der zusammen ich koche und rede und noch mehr lache. Und da ist meine riesige Leidenschaft für das Fliegen, durch die sich der Kreis zu mir wichtigen Freunden und auch zur Freiheit schließt.
Ja, die Worte Dankbarkeit und Demut gehen mir dieser Tage sehr häufig durch Kopf, Bauch und Herz…

Wer nicht flexibel bleibt, verzweifelt…

Die ersten der vergangenen Tage waren besonders schwer, ich fühlte mich wie ein auf den Rücken gefallener Käfer, der nicht weiß, wie er sich je wieder umdrehen soll und aus übergroßer Angst vor dem Gefressenwerden durch den nächsten Vogel, lieber erst einmal in Schockstarre liegen bleibt.
Die Tage glichen sich wie ein Tapeten-Nubbel dem anderen:  Aufstehen, frühstücken, verzweifeln, mittagessen, weinen, abendessen, wieder weinen, ziellos grübeln und dann, ohne irgendeine Ideen für mögliche Lösungen der eigenen Situation, völlig erschöpft einschlafen, worauf die Vorfreude den ganzen Tag lang die einzig positive Energie war, so man das überhaupt so nennen kann, denn – wer schläft, kann bekanntermaßen nicht denken (ab Minute 9:44 mehr dazu, immerhin konnte ich schlafen, sonst wären zu den Nubbeln noch Schafe gekommen und wer hat schon so viel platz Zuhaus…https://youtu.be/PXSikgHOWe8).
Es kam meinem im Soloprogramm so oft erwähnten und noch öfter ob seiner Eintönigkeit infrage gestellten „Aufstehen, arbeiten, schlafen… Pfandflaschen wegbringen“ bedrohlich nahe. Gruseliger Gedanke, dass manche Menschen immer und absichtlich so leben…

Die ersten Anzeichen eines Lagerkollers…

Weil Sport wie Groundhandling mit dem Gleitschirm gerade leider nicht so richtig möglich ist, zumindest nicht wenn man etwas darüber nachdenkt (der Flugbetrieb wurde Seitens des deutschen Gleitschirm- und Drachenflugverband sinnvollerweise bis auf Weiteres eingestellt, um im Falle eines Unfalls nicht unnötig Krankenhausbetten zu belegen, die in den kommenden Wochen voraussichtlich noch dringend gebraucht werden), helfe ich meiner Mutter im Garten. Garden statt Groundhandling, pflügen statt fliegen. Wäre ich als Abenteuerkabarettistin schon bekannter, hätte die Hannoversche Allgemeine Zeitung daraus direkt eine Homestory machen können, mit dem Titel „Waldorfschülerin kehrt zurück zu ihren Wurzeln“ (harhar, Wortwitz! Wie blöd..). Wenigstens ist ein Teil des Gemüsebeets nun wieder frei von Unkraut und meine Mutter glücklich darüber.

Apropos – während wir später am Tag gemeinsam ihre Fenster putzen, was man halt so macht, wenn man plötzlich einfach arbeitslos und verzweifelt ist, weil einem über Nacht durch das Auftrittsverbots alle Konzerte und Auftritte weggebrochen sind und man aktuell ohnehin besser mit dem Arsch zuhause bleibt, redet sie ohne Punkt und Komma über alles, was ihr durch den Kopf geht. Da sind die Lage der Welt, die Worte der Kanzlerin darüber, ihre Sorgen um mich, um ihre Lieben und ein klein bisschen auch um sich selbst, sie schweift ab zu anderen Themen wie dem Verhalten der Nachbarn und der wunderbaren Gemeinschaft in der sie hier lebt, weil die Vermieter so unglaublich herzliche Menschen sind, da taucht in ihren Gedanken eine der Nachbarinnen auf, eigentlich eine Freundin, die immer für sie da ist und andersherum und zwischendrin die Frage, was wir heute essen, während sie die Fenster sauberwischt, ich sie streifenfrei trockenreibe und sie das Ganze dann noch einmal kontrolliert. Es ist nicht bloß eine Hilfe für sie, sondern auch für mich, um aktiv und somit mental flexibel zu bleiben. Plötzlich sagt sie mitten in all das hinein, das so ungefiltert aus ihr herausfließt:
“Also Liese, wenn ich das hier überlebe, dann sollten wir danach endlich mal mit der ganzen Familie über meine Beerdigung sprechen.“
Ok Corona, got it, wir werden nun doch noch alle verrückt!
Wir beide müssen herzhaft lachen, was so wichtig und wertvoll ist in diesen Tagen. Und beide doch irgendwie auch mit der Hoffnung im Hinterkopf, dass wir das noch lange gemeinsam können.

Off-Abenteuer des Tages:
Den Mut gehabt zu haben zu fragen, ob der Termin für ein Telefoninterview, aufgrund schlechter Laune und mieser Energie, auf den nächsten Tag zu verschieben sei. Antwort seitens des Gesprächspartners „Danke für Deine Ehrlichkeit, kein Druck, morgen passt auch.“ Mein Mut und Die daraus resultierende Klarheit machen mich innerlich frei. Wie war das? Sehnsucht nach Freiheit, zurück zu den Wurzeln…
Vielleicht ist das jetzt die Chance  – wo wir sie im Außen gerade nicht leben können, durch die Rückkehr zu unserem inneren Halt, dort durch Selbstfürsorge die Freiheit in uns selbst zu finden…