„So kannte ich Dich noch gar nicht…“

„So kannte ich Dich noch gar nicht…“

Bad Salzhausen. Durch zweistündige Verspätung kam ich im schon Dunkeln an und musste feststellen – der Veranstalter hatte nicht zu viel versprochen als er sagte, der Bahnhof läge mitten im Nirgendwo. Aus der Bahn quasi direkt in die Dunkelheit, auf feuchten, laubbedeckten Boden fallend, lies jedes Knacken oder Rascheln auf dem durch den Wald führenden, unbeleuchteten Weg, gleichermaßen meinen Atem stocken und mich über mich selbst schmunzeln. ‚Oh Gott, wenn ich jetzt schreie, hört mich niemand!‘ dachte ich und ‚Liese, Du musst ganz dringend damit aufhören Dir diese fürchterlich schlechten Thriller anzusehen!‘.

Am Parksaal angekommen stockte mir erneut der Atem – diesmal aus Erfurcht. Ein wunderschöner, edler Raum, traumhaft beleuchtet (mit hammer Flügel, der leider nicht ins Handgepäck passte, sonst hätte ich ihn wohl einfach mitgenommen), der sich später rasch füllte. Was folgte waren zwei bewegende Stunden mit Menschen, die sich, jeder auf seine Weise, einließen auf das, was passierte, die lauschten, sangen und lachten und, zu guter Letzt, dann auch zusammen mit mir schrien. Mich berührten die persönlichen Gespräche, die lieben Rückmeldungen und besonders das Dasein eines Flugfreundes mit seiner Frau, den ich viel zu lang schon nicht gesehen hatte. ‚So kannte ich Dich noch gar nicht‘, sagte er und ich dachte – wie wahr und wie unwahr zugleich. Der Vorteil der Art, wie ich Kabarett für mich interpretiere, liegt darin, ganz ich sein zu können, auch und gerade auf der Bühne. Der Nachteil daran (wenn man es denn so bezeichnen mag) – wir alle haben Seiten, die wir an uns selbst lieben und solche, mit denen wir uns arrangieren.

Wer kennt das nicht: Ein Tag, an dem wir nicht ganz bei uns, nicht ganz wir selbst sind (wer ist das schon immer, schwer genug erst einmal herauszufinden, wer und wo das überhaupt ist…), eine Situation, in der wir gerade vielleicht gedanklich oder energetisch in anderen Sphären unterwegs sind, nicht voll und ganz im Hier und Jetzt, von Ängsten geplagt oder von Sorgen, oder abgelenkt durch innere Stimmen, die uns Dinge einflüstern oder ihre Wahrheiten der Wirklichkeit eintrichtern wollen, wodurch wir ein Stück weit wegrücken von unserem Ur-Sein und für diese Zeit im Grunde nur als, mal stärker markanter Schatten unserer selbst, mal als bloß blasses Abbild dessen herumlaufen.
‚So kannte ich Dich noch gar nicht‘ – Wen? Ach die Frau, die vor Dir steht? Wen? Ach mich? Wen?? Versteht ihr? Im Grunde hätte ich schmunzelnd antworten können: Ich auch nicht. Spannend, oder? Mir wurde durch diese relativ schlichten und doch tiefen Worte des Freundes noch einmal sehr klar, wie unglaublich vielfältig das Wesen Mensch doch ist, wie sehr im Prozess, im stetigen Wandel und im Kern doch immer – Ur-Sein. Und deshalb bin ich besonders dankbar für den gestrigen Abend mit all seiner Stille, seiner Stärke, seiner Sanftheit und Kraft. Wie sehr wir alle doch alles in uns tragen und in jeder Sekunde selbst entscheiden, woran wir unsere Mitmenschen teilhaben lassen, was davon und wen wir der Welt da draußen zeigen, von uns, von dem, was wirklich ist und wie weit wir bereit sind uns zu öffnen und auf den Moment einzulassen, auf das, was gerade einfach da sein will.

Ich für meinen Teil mache mich mehr und mehr frei von dem unsäglichen und vor allem erfolglosen Kampf gegen die Vorstellungen Anderer und gesellschaftliche Normen (hinterfragend, wer sich diese überhaupt irgendwann einmal ausgedacht und für allgemein gültig erklärt hat…). Längst weiß ich, in beiden Fällen, dass ich ohnehin nicht hineinpasse und auch niemals hineinpassen werde. Und das mit purer Freude.
Rebellion macht Spaß und ist wichtig! Manchmal ist sie laut und nach außen gerichtet und manchmal still und ins Innere gewandt. Insgesamt bleibt wohl eine Wahrheit, dass, ob ich dagegen kämpfe oder nicht, die Vorstellungen anderer Menschen eben ihre Vorstellungen sind und auch bleiben, bis sie sich vielleicht eines Tages ebenso wandeln. Und bis dahin sind sie genauso legitim, wie meine, gell?

Momentan feiere ich mein Anders-Sein lieber gebührend, statt mich zu ärgern (ist auch mal ganz schön). Denn der Wandel, den ich mir für uns alle wünsche, kann ja jederzeit direkt in mir selbst beginnen. Wie geil!
Und auch die Erwartungen und Ideen, wie etwas der Meinung meiner inneren Stimmen nach zu sein hat loslassend, gleite ich so direkt in ein Dasein, das sich voll authentisch und aufrichtig Leben nennen kann. Mein Leben halt.